Feedback ist das zentrale Konzept empirischer Prozesse. Zu Beginn eines Vorhabens liegen selten (nie?) alle notwendigen Informationen vollständig vor um deterministisch alle Schritte und Zwischenziele im Voraus planen zu können. Das bedeutet Ungewissheit, Unschärfe und Risiko und ist unangenehm.
Wir erfahren aber auch, dass mehr Informationen im Laufe der Zeit erscheinen werden.
Scrum als als agile Methode kennt verschiedene Feedback-Ebenen:
- auf Tagesbasis den Daily Scrum
- auf Sprintbasis das Review-Meeting und Retrospektiven
In agilen Softwaretechniken werden z.B. im Unit-Testing und in der kontinuierlichen Integration weitere Feedbackmechanismen genutzt.
Allerdings fehlt etwas Wesentliches.
Für Feedback wird immer wieder der Regelkreis eines Thermostaten als Beispiel angeführt: wenn es zu kalt wird, wird mehr warmes Wasser zugeführt, wenn es zu kalt wird, weniger. Der Thermostat ‘weiß’, was die richtige, weil voreingestellte Temperatur ist.
Angewandt auf ein agiles Team bleibt offen, was ‘die richtige’ Stellgrösse ist. Das ist nicht leicht zu beantworten.
Empirische Prozesskontrolle
Wir unterscheiden definierte/determinierte und empirische Prozesse.
In einem definierten Prozess sind alle Eventualitäten vorab beschreibbar. Auf alle Abweichungen kann mit einem Plan adäquat reagiert werden. Ist alles determiniert und mechanisch voneinander abhängig, wenn auf Aktion A immer Reaktion B geschieht, dann kann auch ein vollständiger Plan erstellt und ausgeführt werden.
Die Realität ist eher, dass zu Beginn eines Vorhabens nicht alle Randbedingungen bekannt sind und Störungen, neue Unbekannte oder unerahnte Wechselwirkungen jederzeit auftreten werden.
In diesen komplexen Situationen ist empirische Prozesskontrolle oder empirisches Management sinnvoller — wenn nicht die einzig mögliche Art der zu handeln.
‘Empirisch’ ist daran, durch konkrete Erfahrungen und Beobachtungen Unklarheiten zunehmend zu beseitigen und so laufend mehr Klarheit zu gewinnen.
In der empirischen Prozesskontrolle werden Entscheidungen auf Grundlage des aktuell vorhandenen Wissens getroffen.
Entscheidungen werden so spät als vertretbar möglich getroffen. Mit jeder neuen Information wird die Basis für Entscheidungen breiter und Entscheider damit besser informiert.
Agile Vorgehensformen sind iterativ (schrittweise), kollaborativ (in der offenen Zusammenarbeit) und inkrementell (in zunehmend besseren Schritten aufeinander aufbauend) und setzen so empirische Prozesskontrolle um.
Das heisst nicht, dass mit agilen Methoden nicht geplant wird — ganz im Gegenteil: es wird laufend geplant.
Natürlich wird auch bei empirischen Verfahren ein Plan erstellt bevor es losgeht. Man akzeptiert aber, dass dieser Plan nicht vollständig oder unveränderlich ist.
Da wir mit vielen Änderungen rechnen, ist der anfängliche Plan nur grob bzw. gerade detailliert genug, um die ersten Arbeiten für den ersten kurzen Zeitraum anzustoßen. So wird Zeitverzug, Aufwand und damit Verschwendung mit einer anfänglichen Planung vermieden.
Der Plan wird (z.B. über das Product Backlog) ständig angepasst an neue Kenntnisse und Bedürfnisse. Statt also den (in den meisten Situationen vergeblichen) Versuch zu unternehmen, alles im Vorhinein festzuzurren und deterministisch zu definieren, wird ständig während des Verlaufes und mit der Reduzierung der Unsicherheit durch mehr Informationen nachgesteuert.
Die wesentlichen Unterschiede der beiden Prozesstypen liegen in der Vorhersagbarkeit bzw. Nicht-Vorhersagbarkeit des Planungsraums.
Definierte Prozesse liegen vor, wenn … |
Empirische Prozesse sind beobachtbar, wenn … |
Beispiele sind das klassische Fließband oder eine konventionelle Sachbearbeitung wie beispielsweise eine Rentenbewilligung. Leitung über Befehl und Gehorsam oder kooperative Führung. |
Beispiele sind die Passagierbetreuung während eines Flugs oder Autofahren im dichten Verkehr. Planung und Nachsteuerung über ‘inspect and adapt’, selbstorganisierte Teams funktionieren am Besten. |
Die Umgebung für empirische Prozess-Steuerung
Die Lösung komplexer Probleme und die weitere Optimierung von Organisationen über konstante Anpassungen benötigt als ‘Umgebungsvariablen’ damit …
- Kreativität
- Initiative
- lernende Individuen und Teams
Diese Eigenschaften gedeihen besser in einer spezifischen Unternehmenskultur:
- Vertrauen statt Schuldzuweisungen
- Fehler als Gelegenheit des Lernens
- wechselseitiger Respekt und Verantwortung: Menschen sind keine Ressourcen, Manager sind keine Roboter
Dieser weite Bogen ist notwendig um zu verdeutlichen, dass ‘agil’ nicht nur eine Sammlung von Methoden und Praktiken ist — sondern Instrument eines Wandels.
Reduziert auf ausführbare Methoden und Verfahren funktioniert ‘agil’ vielleicht lokal hinreichend. Volle Kraft, Wirksamkeit und Nachhaltigkeit kann nur erreicht werden, wenn die gesamte Organisation zu einem agilen Organismus transformiert und Business Agility realisiert.